Das Geschäft mit der Angst
In diesem Beitrag wollen wir aus Martin Luder endlich Martin Luther werden lassen und die Reformation einleiten.
Martin Luder fürchtete Gott im wahrsten Sinne des Wortes. Für ihn ist Gott ein strenger Richter vor dessen Zorn er nicht fliehen kann. Er, der sündige Mensch, kann vor Gott nicht bestehen. „Mach‘ nicht aus jedem Furz eine Sünde!“ sagt ihm sein Beichtvater. Doch Luder kann nicht aus seiner Haut. Die Schläge und der Dämonen- und Hexenglaube seiner Eltern haben ihn sehr geprägt. Martin Luder ist mit dieser Haltung nicht allein. Auch in England und Italien ringen Geistliche mit der Gnade Gottes.
Gleichzeitig hat ein Kirchenmann ganz andere Sorgen. Der 23jährige Albrecht von Brandenburg schickt sich gerade an, die Ämter des Erzbischofs von Magdeburg und des Administrators des Bistums Halberstadt zu übernehmen. Später will er auch noch Erzbischof von Mainz werden. Diese Art von Ämteranhäufung nennt man „Simonie“, ein unzulässiges Delikt.
Aber alles hat seinen Preis: Gegen einen „Obolus“ von 50000 Gulden sieht Papst Leo über den Regelverstoß hinweg. So wird Albrecht als Erzbischof von Mainz mit Mitte zwanzig auch noch einer der deutschen Kurfürsten die den Kaiser wählen. Aber wie soll er die hohe „Schmiergeldsumme“ aufbringen? Hier kommt Jakob Fugger ins Spiel, einer der Reichsten Männer seiner Zeit, Bankier und globaler Unternehmer mit Niederlassungen in ganz Europa.
An seiner Person wird die Zeitwende deutlich. Der neue Kaiser Karl der V. ist eigentlich der mächtigste Mann seiner Zeit, aber dass er Kaiser werden kann, verdankt er auch Jakob Fugger. Denn dieser gibt Karls Habsburger Dynastie einen Kredit von 543585 Gulden. Diese Summe war nötig, denn der Kurfürst von Mainz bekam für seine Stimme 103000 Gulden, der Kurfürst von Köln 40000 Gulden, der Kurfürst von Trier 22000, der Kurfürst von Pfalz 139000 und der Kurfürst von Sachsen 32000 Gulden. Der Restbetrag ging für einen kleinen Krieg und zur „Motivation“ der Mittelsmänner drauf. Der Kaiser wird diese Schulden nie zurückzahlen können. Das Kapital gewinnt immer mehr an Einfluss.
Erzbischof Albrecht hat nur ein Zehntel des kaiserlichen Kredits, aber auch er kann ihn nicht so einfach zurückzahlen. Da gibt es eine einfache Lösung: Damals wie heute lässt sich mit der Angst der Menschen Geschäfte machen. Die Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer ist zu Luther’s Zeit sehr groß. Albrecht bekommt außer seinem Amt noch die Lizenz zur Sündentilgung vom Papst. Es werden Ablassbriefe ausgestellt. Wer einen erwirbt, kann sich von Sündenstrafen im Fegefeuer freikaufen. Dies ist keine neue Politik, neu ist, dass jetzt auch Verstorbene freigekauft werden können. Der dazugehörige Spruch „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ ist bekannt.
Das Geld fließt in die Kassen der Fugger und zum Papst. Gnade zu kaufen ist einfach! Das müsste Martin Luder doch gefallen. Blöd nur, dass der auf seiner Suche nach einem gnädigen Gott gerade fündig geworden ist. Ein Satz aus dem alten Testament, den der Apostel Paulus im Römerbrief 1,17 zitiert, öffnet ihm die Augen:
„Der Gerechte wird aus Glauben leben.“
Von nun an steht für Luder fest:
sola gratia – Allein die Gnade Gottes macht heil, nicht die Werke.
sola fide – Allein der Glaube an die Gnade Gottes bringt ewiges Leben.
sola scriptura – Allein die Schrift weist den Weg, nicht die Auslegung.
solus Christus – Allein durch das Opfer Christus ist Erlösung möglich.
Martin Luder ist befreit. Als Studierter sieht er sich als „eleutheros“ (der Freie). Doch diesen Namen gibt er sich nicht. Er entnimmt nur das „th“ und aus Luder wird Luther.
Seine neue Heilgewissheit und das Treiben der eifrigen Ablasshändler passen nun gar nicht mehr zusammen. Dagegen muss er etwas tun. Die Sache mit den Thesen ist ja ausreichend bekannt. Er schlägt sie nicht nur an das Tor der Wittenberger Kirche (die als eine Art schwarzes Brett von den Studierenden genutzt wurde), er schickt sie auch zu Erzbischof Albrecht und weist ihn auf die üblen Machenschaften der Ablassprediger hin.
Albrecht kann das aber so gar nicht gebrauchen und leitet die Post gleich nach Rom weiter. Natürlich ist auch der Papst nicht erfreut, wenn jemand an seinem einträglichen Geschäftsmodel rüttelt. Das wird viel Ärger für Martin Luther geben. Zum Glück gibt es da seinen Landes- und Dienstherren Friedrich den Weisen, Kurfürst von Sachsen. Um ihn soll es im nächsten Beitrag gehen.
Quellen: Geschichte 5/07; Geschichte Spezial 2016