Adieu
In diesen letzten Tagen vor meinem Abschied hier als Pfarrer ist mir dieser wunderbare Artikel in die Hände gefallen. Gesegnetes Lesen und ein gutes Abschiednehmen und Weitergehen wünsche ich uns allen. Der Herr möge es führen!
Ihr und Euer Pfarrer Jonas Großmann
Was zu einem geglückten Abschied gehört
von Andreas Geister
Als Jesus wusste, dass er bald von seinen Jüngern würde Abschied nehmen müssen, da sagt er zu ihnen: Jetzt seid ihr eine kleine Zeit traurig, weil ihr mich nicht mehr seht. Aber ich will euch wiedersehen. Dann werdet ihr euch freuen, und diese Freude wird euch niemand nehmen können. (Joh 16,22)
Was heißt es, gut und in Frieden Abschied zu nehmen?
In der Bibel ist öfters von Abschied die Rede – in ganz unterschiedlichen Situationen:
Abraham muss Abschied nehmen von seiner Heimat, seinem Vaterhaus, seiner Verwandtschaft und den Aufbruch wagen, weil Gott ihn an einen neuen Ort ruft.
Jakob, Josefs Vater, zieht mit seiner ganzen Familie nach Ägypten. Er wird vom Pharao empfangen und bekommt von ihm Land geschenkt. Als er sich dann vom Pharao verabschiedet, segnet er ihn. Der Segen beim Abschied ist etwas ganz Wichtiges.
Samuel, der nach langer Dienstzeit sein prophetisches Richteramt niederlegt, verabschiedet sich vom Volk und gibt noch einmal Rechenschaft über sein Tun. Er hält eine Abschiedsrede und lässt sich vom Volk entlasten.
Der Apostel Paulus muss auf seinen Reisen, durch die er das Evangelium zu den Völkern bringt, immer wieder Abschied nehmen – von Mitarbeitern, Gemeinden, von neuen Freunden und von geistlichen Kindern.
Das Johannesevangelium überliefert uns die Abschiedsreden Jesu, in denen er davon spricht, dass er seine Jünger verlassen muss, weil er zu seinem Vater zurückkehrt. Er macht ihnen Mut und versichert ihnen: Ich lasse euch nicht als Waisen zurück, ich werde euch einen Beistand senden, nämlich den Heiligen Geist … und vergesst nie: er selbst, Gott, der Vater, hat euch lieb. Danach betet Jesus noch für seine Jünger und für die ganze Welt.
Es gibt ein Abschiednehmen, das sich durch die ganze Bibel hindurchzieht, das Abschiednehmen von denen, die gestorben sind:
Josef weint um seinen Vater Jakob, David um Saul. Die Frauen von Bethlehem trauern um ihre getöteten Kinder. Maria von Bethanien um ihren Bruder Lazarus. Maria Magdalena um ihren Freund und Meister Jesus. Diese Art des Abschieds zieht sich auch durch unser Leben. Abschied nehmen von unseren Verstorbenen – das bleibt keinem erspart.
Wanderer auf dem Weg nach Haus
Dass das Abschiednehmen zum Leben gehört, hängt damit zusammen, dass wir Pilger sind auf dieser Welt:
Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebr 13, 14)
Solange wir auf der Welt sind, sind wir unterwegs. Nie ganz daheim, leben wir im Vorläufigen, unter der Verheißung, dass das Beste noch kommt. Fromme Juden lassen in ihrer Wohnung ganz bewusst eine Ecke untapeziert zur Erinnerung: Wir sind hier nicht ganz zuhause, sondern auf der Durchreise ins ewige Land.
Wer auf der Durchreise ist, muss immer wieder Abschied nehmen. So auch wir: Jeden Abend, wenn wir die Kleider ablegen und zu Bett gehen, nehmen wir Abschied vom Tag. Ein lebenskluger Mensch sagte einmal: Wenn wir schlafen, ist das wie ein kleiner Tod. Wir müssen alles zurücklassen und können nichts mitnehmen.
Wir alle kennen den Abschied vom Elternhaus, ausziehen oder heiraten: Das bedeutet, die Kindheit hinter uns lassen, ein eigenes Leben beginnen. Der Abschied von der Schule: Viele Jugendliche freuen sich darauf. Erst später kommt einem die Schulzeit geradezu wie das Paradies vor. Leben heißt, immer wieder Abschied nehmen müssen. Es fragt sich nur: Wie gelingt das in guter Weise? So dass wir frei sind für das Neue, das kommt? Was gehört dazu?
Drei Dinge scheinen mir wesentlich:
Das, was war, umarmen
Wenn wir einen Besuch verabschieden, umarmen wir uns oder geben einander fest die Hand und schauen uns an. Das ist wichtig: Man will einander noch einmal spüren, noch einmal nahe sein.
Auch mit den Verstorbenen machen wir das. Wir streicheln sie noch einmal, legen ihnen Blumen in die Hände und lassen sie unsere Nähe spüren. Wir erzählen von ihnen oder hören ihren Lebenslauf. So umarmen wir ihr Leben.
Wenn wir von der Schule oder einer Arbeitsstelle Abschied nehmen, machen wir ein Abschiedsfest und holen all diejenigen in unsere Nähe, denen wir Adieu sagen müssen.
Ich stelle mir vor, dass Abraham noch einmal über seine Felder gegangen ist, um sich von seiner Heimat zu verabschieden, bevor er loszog in das unbekannte Land.
Erinnert ihr euch an Jesus, an den letzten Abend mit seinen Jüngern? Da feiert er mit ihnen, isst mit ihnen: Ich habe mich danach gesehnt, dieses Mahl mit euch zu feiern, sagt er. Es scheint zu einem guten Abschied zu gehören, das, was war und was wir verlassen, noch einmal zu umarmen.
Das, was war, ver-danken
Wenn wir einander verabschieden, sagen wir: “Danke für deinen Besuch” oder “Danke für die schöne Zeit”, oder am Telefon: “Danke für den Anruf.” Im Grunde wissen wir, dass Danken zum Abschied gehört.
Als Jesus von seinen Jüngern Abschied nimmt, dankt er seinem Vater für sie: Vater, ich danke dir für die, die du mir gegeben hast.
Es ist eine gute Gewohnheit, an Silvester oder am Geburtstag, wenn man sich von dem vergehenden Jahr verabschiedet und ein neues beginnt, noch einmal dankbar zurückzudenken an das, was gut war. Das kann man sich aufschreiben unter der Frage: Wofür kann ich danken? Und man wird staunen, wie viel da zusammenkommt. Um wie viel leichter fällt es weiterzuziehen, wenn man es versöhnt und dankbar tun kann.
Wie ist das, wenn wir von einem Verstorbenen Abschied nehmen? Danken wir für sein, für ihr Leben? Wo und wie tun wir das? Im Gottesdienst beten und danken wir ganz bewusst für das Leben der Verstorbenen. Beim Abschied von meinem ältesten Bruder wurden wir vom Pfarrer aufgefordert, auf dem Weg zum Grab in der Stille für das zu danken, was uns mit ihm verbunden hat und was er uns bedeutet hat. Das war hilfreich.
Wenn wir der Dankbarkeit richtig Raum geben, dann leuchtet der Abschied – wie ein See in der Abendsonne.
Und wie ist das, wenn wir einmal Abschied nehmen müssen von dieser Welt – werden wir es dankbar tun können? Der jüdische Schauspieler Ernst Ginsberg
schrieb kurz vor seinem Lebensende folgendes Gedicht:
Nun wird es Zeit zu danken
eh Herz und Auge bricht
für alle Gottesgaben
für Leben, Luft und Licht.
Zu danken für die Eltern
die mir in dieser Welt
die blinden Kinderfüße
auf graden Weg gestellt.
Zu danken für die Freundschaft
die mir zur Seite ging
und oft mit starken Armen
den Taumelnden umfing
Zu danken für die Liebe,
die ich so oft verriet:
sie aber sang, die treue
das ew’ge Lebenslied.
Zu danken für die Freuden:
Wie war die Welt so schön
um staunend voll Entzücken
von Glück zu Glück zu gehn.
Zu danken für die Tränen
des Lachens wie der Not:
die Not, ach, bittre Speise
das Lachen gut wie Brot.
Dieser Mann, der von schwerer Krankheit gezeichnet im Sterben liegt, nimmt Abschied mit Dank auf den Lippen. Das ist ein gutes Abschiednehmen.
Das, was war, Gott zurückgeben
Ein guter Seelsorger sagte mir einmal: Man muss die Toten nicht loslassen. Das käme denen, die sie lieben, wie Verrat vor. Aber man kann sie Gott überlassen. Unsere Lieben seinen Händen überlassen, dort sind sie bestens aufgehoben.
In der Schweiz sagen wir, wenn wir uns von jemandem verabschieden: A dieu. Das heißt wörtlich: hin zu Gott, sei Gott anbefohlen. Ist das nicht schön?
Das Jahr, das hinter uns liegt: Adieu…
Es hin zu Gott bringen, ihm überlassen.
Adieu… liebe Eltern! Ich lege euch Gott ans Herz.
Adieu… Kinder. Möge Gott für euch sorgen, wenn ich es nicht mehr kann.
Wenn im Alten Testament Abschied genommen wurde, hat man einander gesegnet, das heißt: Gott sei mit dir und wache über dich!
Adieu – hin zu Gott.
Und Jesus – noch am Kreuz betet er für die, die ihm Unrecht getan haben: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Adieu … Schuld – hin zu Gott.
Das, was wir zurücklassen müssen, noch einmal umarmen, dafür danken und Gott zurückgeben, es in seine treuen Hände legen – so kann man im Frieden Abschied nehmen.
Danke, Herr, für dieses Licht, das du uns in unsere Abschiedsdunkelheit gestellt hast. Danke, dass wir dir danken dürfen für das, was war, und dir zurückgeben, was du uns auf Zeit geliehen hast. Wir wissen, mit jedem Abschied kommen wir unserem ewigen Zuhause näher. Bleibe bei uns am Ende dieses Tages, am Ende unseres Lebens und am Ende der Welt. Amen